Das Thema Schwerbehinderung bzw. Schwerbehindertenausweis ist für viele HMSN-Betroffene ein Thema.
Schwerbehindert ist, wer nach §2 (1) SGB IX in seinen körperlichen Funktionen, geistigen Fähigkeiten oder seelischen Gesundheit länger als 6 Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht und dessen Teilhabe am Leben in der Gesellschaft deshalb beeinträchtigt ist.
Dies trifft vielfach auch auf HMSN-Betroffene zu, so dass man überlegen sollte, ob man einen Schwerbehindertenausweis beantragt.
Im Ausweis werden der Grad der Behinderung (GdB) und ggf. auch Merkzeichen aufgeführt, so dass man über den Schwerbehindertenausweis zahlreiche Nachteilsausgleiche in Anspruch nehmen kann.
Die Nachteilsausgleiche betreffen zahlreiche Bereiche des Lebens, als Beispiele sind da der besondere Kündigungsschutz, steuerliche Vorteile, diverse Ermäßigungen, Parkerleichterungen und Prüfungsmodifikationen (Schule, Hochschule) zu nennen. Im Internet gibt es hierzu diverse Tabellen und Zusammenfassungen, die oben genannten Punkte sind nur ein kleiner Teil aller Nachteilsausgleiche.
Doch Vorsicht: Vielfach sind Nachteilsausgleiche an die Höhe des GdB gekoppelt, d.h. ist der eigene GdB darunter, kann man Nachteilsausgleiche höherer GdB nicht in Anspruch nehmen.
Auch sollte man wissen, dass man erst ab einem GdB von 50 als schwerbehindert gilt. Liegt man darunter, so kann man sich ab einem GdB von 30 einem Schwerbehinderten gleichstellen lassen, wenn man ohne Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz nicht erlangen oder behalten könnte. Die Gleichstellung wird bei der Agentur für Arbeit beantragt.
Wie hoch der GdB bei HMSN ausfällt, kann man im Voraus schwer beurteilen. Die Bewertung der vorhandenen Funktionsbeeinträchtigungen erfolgt durch das Versorgungsamt, hierzu werden Arztberichte des Antragstellers angefordert und ausgewertet und ggf. auch Begutachtungen durch unabhängige Ärzte beauftragt.
Da jeder HMSN-Betroffene individuell unterschiedlich schwer betroffen ist, kann man auch keine Vergleiche mit anderen Betroffenen anstellen. Selbst innerhalb einer Familie können die GdB unterschiedlich hoch ausfallen.
Ist man der Ansicht, dass der GdB zu niedrig beschieden wurde oder ein Merkzeichen hätte bewilligt werden müssen, so kann man innerhalb von 4 Wochen nach Erhalt des Bescheids in Widerspruch gehen. Wird dieser auch nicht besser beschieden, bleibt noch eine Klage vor dem Sozialgericht.
Mit einem Schwerbehindertenausweis sind jedoch nicht nur Vorteile verbunden, es können auch Nachteile entstehen.
So ist man z.B. verpflichtet, bei Einstellungsgesprächen eine entsprechend gestellte Frage nach einer Behinderung wahrheitsgemäß zu beantworten. Mit der möglichen Folge, dass man den Job nicht bekommt. Es gibt auch hier zwar die gesetzliche Verpflichtung, dass bei gleicher Eignung ein Schwerbehinderter einem Nicht-Behinderten vorzuziehen ist, leider hält sich aber nicht jeder Arbeitgeber daran. Dies ggf. einzuklagen, ist zwar möglich, man muss es aber nachweisen können.
Ein weiterer Nachteil wird beim Abschluss bestimmter Versicherungen deutlich. So kommt es z.B. bei Berufsunfähigkeitsversicherungen zu Problemen, wenn eine Schwerbehinderung vorliegt. Entweder lehnt die Versicherung dann ab oder es werden höhere Beiträge, oft unter Ausschluss der Erkrankung, verlangt. Auch hier gibt es inzwischen ein Gesetz, was die Absicherung bereits erkrankter oder behinderter Personen ermöglichen soll, Angebote hierzu gibt es aber nur wenige. Und man muss diese auch gut prüfen, bevor man abschließt.
Entschließt man sich, einen Antrag auf Schwerbehinderung zu stellen, so wird dieser wie bereits erläutert vom Versorgungsamt geprüft. Das Versorgungsamt fordert die ärztlichen Unterlagen der letzten 2 Jahre an und bewertet dann die dort angegebenen Krankheiten und Funktionsbeeinträchtigungen. Hierzu werden die Versorgungsmedizinischen Grundsätze (gültig seit 1. Januar 2009) herangezogen.
In diesen Grundsätzen sind diverse Funktionsbeeinträchtigungen aufgrund zahlreicher Krankheiten in 10er Schritten gestaffelt von 20 bis 100 aufgeführt.
Leider hat es mit der Einführung der oben genannten Versorgungsmedizinischen Grundsätze einige Änderungen im Bereich der Bewertung vieler Funktionsbeeinträchtigungen gegeben. Gegenüber den vorher gültigen "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht“ werden nun viele Funktionsbeeinträchtigungen geringer bewertet, manche sind sogar ganz herausgefallen. Auch bei den Merkzeichen, insbesondere beim aG, hat es Verschärfungen gegeben.
Das Alles hat dazu geführt, dass man für einen höheren GdB viel schlimmerer Funktionsbeeinträchtigungen vorweisen muss als vor 20 Jahren. Beim Merkzeichen aG gilt dies analog, hier wird in den Grundsätzen angegeben, dass man Doppeloberschenkelamputiert oder dem gleichgestellt sein muss, damit das aG angemessen ist.
Diese Änderungen führen in der Praxis dazu, dass HMSN-Betroffene beim Erstantrag oft nur einen GdB von 30 oder 40 zugesprochen bekommen. Vergleicht man das dann mit anderen Betroffenen, die einen höheren GdB haben, sieht dies sehr ungerecht aus. Es mag auch in manchen Fällen ungerecht sein, man sollte aber bei solchen Vergleichen immer berücksichtigen, dass man meist nicht weiß, was noch an sonstigen Erkrankungen vorliegt. Auch kann die oben genannte Änderung bei der Bewertung ausschlaggebend gewesen sein oder aber das Versorgungsamt war „kulanter“. Denn auch wenn es die versorgungsmedizinischen Grundsätze gibt, so kann die Bewertung einer bestimmten Funktionsbeeinträchtigung bei jedem Versorgungsamt unterschiedlich ausfallen.
Auch bei Verschlimmerungsanträgen machen Betroffene vielfach die Erfahrung, dass diese abgelehnt werden oder der GdB nur minimal erhöht wird. Der Tatsache, dass die HMSN eine chronisch-fortschreitende Erkrankung ist, wird oftmals nicht berücksichtigt. Auch in so einem Fall kann man in Widerspruch sowie bis zur Klage gehen, alternativ kann man die Entscheidung aber auch akzeptieren, um dann nach einiger Zeit erneut einen Antrag zu stellen. Man sollte hierbei aber berücksichtigen, dass das Versorgungsamt die ärztlichen Unterlagen der letzten 2 Jahre einholt. Das bedeutet, dass man in dieser Zeit auch wegen der HMSN bei Ärzten gewesen sein sollte.
Noch als Tipps für die Antragstellung:
Es ist sinnvoll, die behandelnden Ärzte darüber zu informieren, dass man einen (Verschlimmerungs-)Antrag stellen möchte. So wissen die Ärzte Bescheid und können entsprechend die Anfragen des Versorgungsamts beantworten.
Im Antrag sollte man sämtliche Ärzte, (Reha-)Kliniken und auch Psychotherapeuten o.ä. aufführen, die man in den letzten 2 Jahren aufgesucht hat. Man kann entsprechende Arztberichte auch gleich dem Antrag beifügen.
Wird der Antrag abgelehnt, so kann man im Versorgungsamt Einsicht nehmen, aus welchem Grund es zu der Ablehnung kam. Im Bescheid selber steht dies zwar verkürzt, man kann aber z.B. nicht erkennen, welche Arztberichte berücksichtigt wurden.
Hat man eine Rechtsschutzversicherung, so kann man sich ab einem bestimmten Stand des Verfahrens anwaltlich vertreten lassen. Ob das schon ab dem Widerspruch möglich ist oder erst ab der Klagemöglichkeit, hängt von der abgeschlossenen Versicherung ab.
Plant man den Abschluss einer Rechtsschutzversicherung, so sollte man die Wartezeiten berücksichtigen. Meist muss die Rechtsschutzversicherung mind. 3 Monate, manchmal länger, bestehen, bevor man Leistungen daraus in Anspruch nehmen kann. Für vor Abschluss der Versicherung bereits laufende Verfahren kann man die Rechtsschutzversicherung gar nicht in Anspruch nehmen.
Es macht also Sinn, eine Rechtsschutzversicherung frühzeitig vor solchen Anträgen abzuschließen. Ob man sie letztendlich benötigt, ist aber nicht vorher zu sehen.